Aus einem 100 Jahre alten bayrischen Kräuterbuch zur Hausmedizin...Man beachte, wie dieses Dokument kritiklos alte Schauermärchen über die orientalische "Todesdroge" Haschisch übernimmt ohne zu verstehen daß es sich dabei um den selben Wirkstoff, mit den selben Auswirkungen handelt wie beim guten alten einheimischen Hanf. Übertriebene Berichte zu Haschisch aus jener Zeit beruhen teilweise auf reiner Unkenntnis, teilweise auch aus dem Bedürfnis von Haschischkonsumenten, mit der damaligen Modedroge Opium "mithalten" zu wollen.
Derselbe stammt, wie so viele andere Pflanzen, aus Asien und wurde dort von den Skythen und Thrakern zur Verfertigung ihrer Kleider benutzt. Den Aegyptern und Israeliten, sowie den Griechen und Römern war er hingegen unbekannt [1] und genoß auch im spätern Althertume nicht der Verbreitung und des Ansehens wie der Flachs. Jetzt wird der Hanf in ganz Europa angebaut; der russische wird besonders geschätzt. Er liebt einen tiefgründigen, fetten, sehr gut bearbeiteten Thalboden in warmer, geschützter Lage. Ein Hanffeld muß vor der Saat einem Garten ähnlich sehen; darum spricht der Bauer auch nicht von seinem "Hanfacker", sondern von seinem "Hanfgarten". Der rundliche, zweihäusige Samen wird Anfangs Mai ausgesäet, wenn der Boden gehörig abgetrocknet ist; denn der Hanf liebt ebensowenig Feuchtigkeit als große Trockenheit. Er wird gewöhnlich 1-2 Meter hoch, oft aber auch noch höher. Sein aufrechter, meist ästiger Stengel ist mit kurzen rauhen Haaren bedeckt; die Blätter sind gefingert. Seine Blütezeit fällt in die Monate Juli und August [2]. Man unterscheidet einen männlichen und einen weiblichen Hanf; der erstere reift gewöhnlich früher, wird daher auch häufig vor dem zweiten ausgezogen, was der Landmann "femeln" heißt, und liefert einen feineren Bast. Wie mit dem Hanf verfahren werden muß, bis er zum Spinnen tauglich ist, wissen wir alle [sic!]. Seine Fasern geben ein gröberes, aber viel dauerhafteres Gewebe, als jene des Flachses. Darum werden sie auch nicht nur wie diese verwendet, sondern man macht ausserdem noch Stricke, Schiffstaue, Zeltdecken und ähnliches daraus. In Preußen stellt man aus der Hanffaser auch das Papiergeld her. Der Samen gibt ein gutes Brenn- und schnelltrocknendes Maleröl; zudem ist er ein beliebtes Futter unserer Stubensänger. Man muß sich jedoch hüten, ihnen zu viel davon zu geben, da sie, besonders das Kanarienvögelchen, wenn sie nur mit Hanfsamen gefüttert werden, gern die Auszehrung davon bekommen. Im Mittelalter wurde sogar eine sehr beliebte Suppe aus dem Hanfsamen gemacht. Das ist in kurzen Zügen die Bedeutung des Hanfes als Industriepflanze; auch in der Heilkunde findet er seinen wohlverdienten Platz. Aber es gibt eine dunkle Seite in seiner Geschichte, die ihn für immer aus der Gesellschaft der Unschuldigen und Harmlosen verbannen wird, denen wir blindlings vertrauen dürfen... Seid ihr jemals an einem warmen Sommertage an einem Hanffelde vorbeigegangen? Habet ihr da nicht einen scharfen, betäubenden Geruch wahrgenommen, der euch Kopfweh und Uebelkeit verursachte? Derselbe verdankt sein Entstehen einem von der Pflanze ausgedünsteten flüchtigen Oele und kann sich so steigern, daß die im Hanfe beschäftigten Arbeiter davon ohnmächtig werden. Es wäre darum auch die größte Unvorsichtigkeit, in der Nähe eines solchen Feldes einzuschlafen [3]. Schon die Skythen und Thraker kannten die betäubende Eigenschaft des Hanfes und benutzten sie, um berauschende Getränke aus demselben zu breiten. Die Inder, Perser und Türken machen heutzutage noch den sogenannten "Haschisch" davon, der sie in den Zustand der Trunkenheit versetzt, der Gesundheit aber höchst schädlich ist. Denn der starke Gebrauch desselben erzeugt -- nach vorübergehendem Wohlbehagen -- Erschlaffung, Wahnsinn, Starrkrampf, Tod [4]. -- Leider sind bei 300 Millionen Menschen dem schrecklichen Uebel des Haschisch unterworfen, den die Orientalen seiner ersten Wirkung wegen den "Gelächter-Erwecker", den "Vermehrer des Vergnügens" und den "Kitt der Freundschaft" nennen. Also Vorsicht, wenn auch die Ausdünstugen des europäischen Hanfes weniger stark sind und ihre betäubenden Eigenschaften in diesem nicht so kräftig wirken, als im orientalischen! -- Dieser Geruch ist übrigens für viele Insekten tödlich. Darum umpflanzt man Gemüsefelder in manchen Gegenden mit Hanf, um sie vor Verheerungen zu schützen. Ebenso empfiehlt es sich, vereinzelte Hanfpflanzen in Kartoffelfeldern anzubauen, um den so schädlichen Kartoffelkäfer davon abzuhalten. -- Wanzen vertreibt man aus den Betten, indem man frische Hanfpflanzen unter die Matraze legt. Doch schlafe man während dieser Zeit nicht darin. Wenn wir uns beim Anblick des Hanfes also auch eines gewissen Mißtrauenes nicht erwehren können und uns sagen müssen: "Hier ist eine Pflanze, die schon viel Unheil gestiftet hat, und noch vieles stiften kann und vieles stiften wird," so dürfen wir uns jedoch auch nicht verhehlen daß nur ein übermäßiger Genuß des Haschisch, erzeugt durch Leidenschaft und Laster, schuld an den Uebeln ist, die auf Millionen von Menschen wie ein Fluch liegen, während bei richtigem Gebrauche das schlimme Prinzip auch hier wie überhaupt überall sich zum Guten wenden läßt. Wägen wir demnach den Nutzen des Hanfes gegen seinen Schaden ab, so übersteigt jener den letzteren weit. Selbst in unserer Hausapotheke läßt sich der Hanf bei einiger Vorsicht mit Vorteil gebrauchen.
Er wirkt in seinen Präparaten bei kleinen Dosen anregend und belebend auf das Nervensystem. Darum wird er bei großer Ermüdung und Schwäche nach starker körperlicher Anstrengung vom Arzte verordnet. Größere Gaben sind betäubend. Deswegen wurde er manchmal anstatt des Morphiums verordnet. Ferner ist er ein gutes Mittel in den Krankheiten der Harnwerkzeuge, bei schmerzendem Urinieren, bei Wassersucht, Nierensteinen, Nieren- und Blasenentzündungen usw. 1. Innerlich kann man ihn bei einiger Vorsicht als Hausmittel gebrauchen, indem man mit 30 bis 60 Gramm Hanfsamen auf 1 Liter Wasser einen Theeaufguss bereitet und ihn tagsüber trinkt. Derselbe wurde bei chronischem Rheumatismus, Flechten, bei anfangender Wassersucht und Harnbeschwerden mit gutem Erfolge angewendet. Auf dem Land wird er auch vielfach bei Gelbsucht gebraucht. Sobald aber sein Genuß Brechreiz oder Kopfweh verursacht, enthalte man sich desselben. [5] 2. Man bereitet auch eine Tinktur aus dem Safte der eben ins Blühen gekommenen Spitzen der Hanfpflanze und einem gleichen Quantum Weingeist oder Kornbranntwein, die man beide mischt [6]. Von dieser Tinktur nimmt man täglich zweimal 5 bis 6 Tropfen auf Zucker oder in etwas Wasser gegen die vorhin genannten Leiden. Ferner dient dieselbe gegen Augenschwäche, Entzündung der Augen und Hornhautflecken, wenn man einige Tropfen davon in ein wenig Wasser gießt und sich öfters während des Tages die Augen damit wäscht. 3. Diese Tinktur stärkt und belebt auch bei großer Ermüdung; ebenso stillt sie Nasenbluten. 4. Aeußerlich angewandt, heilt der ungesponnene Hanf oder, in Ermangelung desselben, der zerstossene Hanfsamen den Rotlauf wenn man ihn auf die schmerzende Stelle legt. Ueberhaupt wirkt Hanfsamenbrei, auf Geschwulsten und entzündete Körperteile überschlagen, zerteilend und schmerzstillend. Der Hanfsamen wird im August gesammelt. Erst nachdem er einige Zeit an Luft und Sonne getrocknet hat, wird er in hölzernen Büchsen wohl verwahrt. -- Man kann auch Blütenstände und Blätter trocknen, um den Thee daraus zu bereiten. Der Samen ist jedoch am wirksamsten. [7]
Aus: Die Bedeutung unserer vorzüglichen heimischen Heilkräuter in Sitte, Sage, Geschichte und Volksglauben; ihr wirtschaftlicher und industrieller Nutzen und ihre praktische Verwendung als Hausmittel. Für die Jugend, das Volk und deren Freunde zur Belebung einer religiös-sinnigen Naturanschauung; gesammelt und herausgegeben von E. M. Zimmerer. Donauwörth, 1896 Druck und Verlag der Buchhandlung L. Auer. (Seite 50-54)
Anmerkungen: [2] Dies gilt nur für deutsche, der nördlichen Lage angepassten Sorten, nicht für subtropische Sorten. [3] Bei den Ausdünstungen von denen hier die Rede ist handelt es sich um ätherische Öle die nichts mit der Drogenwirkung zu tun haben. [4] Die von der britischen Regierung eingesetzte Hanfdrogenkommission Ende des 19. Jahrhunderts untersuchte die tatsächlichen Auswirkungen von Cannabiskonsum in der britischen Kolonie Indien und kam zu dem Schluss, dass die damit verbundenen Risiken im allgemeinen so gering seien dass kein Verbot sondern nur eine Regulierung (Lizensierung) der Droge nötig sei. [5] Wässrige Hanftinkturen enthalten kein THC, d.h. die Heilwirkung beruht in diesem Fall auf anderen Substanzen die zusammen mit THC auftreten. [6] THC ist ausser in Fett auch in Alkohol löslich, d.h. bei diesem Präparat ist THC aller Wahrscheinlichkeit nach der wirksame Bestandteil. [7] Die höchste THC-Konzentration findet man in den Blütenständen der Pflanze, gefolgt von oberen Blättern und Blattspitzen. Die Samen selbst sind THC-frei, wachsen jedoch in den Blütenständen heran.
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